Hallo !
Die Begündung für die (ur-)alte Faustregel, daß 60° scheinbares Okular-Gesichtsfeld ungefähr 1° wahrem Gesichtsfeld am Himmel entspricht, habe ich vor Jahrzehnten mal auf Cloudy Nights (?) oder woanders gelesen und sie hatte mich damals überzeugt.
So eine Regel leuchtet - natürlich - nicht sofort ein, weil man gewohnt ist an die Abhängigkeit des wahren Gesichtsfeldes am Himmel von der Vergrößerung zu denken. ... Und diese Abhängigkeit besteht natürlich auch so.
Wie kann man denn dann so etwas behaupten, bzw. eine solche Regel aufstellen ? Und ganz besonders noch behaupten, daß die Regel für alle Fernrohrbrennweiten gelte (wo doch die Vergrößerung, und damit das wahre Gesichtsfeld am Himmel, gleichzeitig von der Fernrohr- und von der Okular-Brennweite abhängig ist) ?
Leider habe ich den Beitrag auf Cloudy Nights nicht wiedergefunden. Also habe ich aus den Bruchstücken meiner Erinnerung mit einer Excel-Tabelle versucht, den Zusammenhang zu re-konstruieren. Diese Rekonstruktion ist Gegenstand des folgenden Beitrags.
Zunächst aber noch eine Klarstellung:
- Das scheinbare Gesichtsfeld des Okulares ist unabhängig vom Teleskop. Es handelt sich um den Winkel, unter dem der - ausschließlich durch das Okular schauende - Betrachter aus dem Okularbrennpunkt heraus (von der Augenlinse aus) den Abstand zwischen dem linken und rechten (oder dem oberen und unteren) Rand der Feldblende des Okulars sieht. (= Winkel ε im sogleich folgenden Bild und Link).
- Das wahre Gesichtsfeld am Himmel ergibt sich aus der Kombination von Fernrohr und Okular und ist = der Winkel unter dem ein durch das Objektiv schauender Betrachter den Rand der Feldblende des Okulares sieht. (= Winkel α im sogleich folgenden Bild und Link).
Dazu folgendes Bild, welches von dem Herrn stammt, der DAS Optik-Referenz-Buch im Internet geschrieben hat, von Vladimir Sacek: http://www.telescope-optics.net/eyepiece1.htm: (zum copyright: Herr Sacek hat mir persönlich -per e-mail - erlaubt, seine Bilder auf diesem Forum hochzuladen)
[Edit: stört Euch nicht an dem halben Winkel im Bild; der Herr Sacek erklärt im Text zur Erklärung von "TFoV" und "AFoV" ("true field of view" und "apparent field of view"), daß: "... here, both are presented as field radius; often times, the terms are also used for the field diameter".
Zurück zur Rekonstruktion der Begründung der Faustregel:
Es handelt sich um eine (ur-)alte Faustregel. Ich habe noch in Erinnerung, daß der Autor schrieb (=Voraussetzung ?), man könne ja mit egal welchem Teleskop kaum jemals mehr als 1° am Himmel sehen. Dabei muß man bedenken, daß es vor 50 Jahren weder die große Öffnungsverhältnisse wie f/4
an Newtons und f/7 an Refraktoren gab, noch Okulare, die scheinbare Gesichtsfelder hatten, die deutlich über ein Plössl hinausgingen. Erfle Okulare (60° scheinbares GF) waren das höchste der Gefühle
und die meisten Amateure hatten 0.96 Zoll Okularauszüge und Okulare. Vom Öffnungsverhältnis her lagen "kurzbrennweitige" (!) Newton Teleskope bei f/12 und "kurze" Refraktoren bei f/15.
Ich meine also daß die Regel früher als allgemeine Regel für das maximal mögliche wahre Gesichtsfeld für egal welche Teleskop-Brennweite gedacht war, weil die Brennweiten der Teleskope so viel länger waren.
Mit den f/4 Teleskopen ist das heute natürlich nicht mehr so. ... ... Man kann die Regel aber auf die heutigen Verhältnisse anpassen.
Sie lautet dann:
«Bei mittlerer Okularbrennweite, entspricht 60° scheinbares Okular-Gesichtsfeld ungefähr 1° wahrem Gesichtsfeld am Himmel».
(Mit mittler Okularbrennweite meine ich dabei die Mitte der durchschnittlichen Okularpalette eines Amateur-Sternguckers, die ungefähr zwischen 40 mm und 3.5 mm liegen sollte: 40 - 3.5
= 36.5 /2 = = 18.25 = 18 mm Okularbrennweite).
Die Regel würde also vom maximalen wahren Gesichtsfeld (bei einem 40 mm Okular, ... ich weiß gar nicht, ob der damalige Threadersteller überhaupt 2 Zoll Okulare mit einbezogen hatte; ... ist aber auch egal) zum mittleren wahren Gesichtsfeld (18 mm Okular) verschoben.
Um die folgende Excel Tabelle zu erstellen,
mußte ich dann aber erstmal die Brennweite eines «Standard-Amateur-Teleskops» definieren. Nach etwas Überlegen, bin ich von Fernrohrbrennweiten zwischen den Extremen von 800 mm (f/4 Newton bei 200 mm Spiegel-Ø = f/8 Refraktor bei 100 mm Objektiv-Ø, usw., einerseits) und 1500 mm (= f/10 Refraktor bei 150 mm Objektiv-Ø = f/5 Newton bei 300 mm Spiegel-Ø
, usw., andererseits) ausgegangen. Die meisten Amateurteleskope liegen in diesem Bereich.
Dann habe ich die wahren Gesichtsfelder für Okulare zwischen 3.5 mm und 40 mm berechnet. Dabei habe ich zur Kontrolle, neben den Sacek’schen Formeln, bzw. - für die Berechnung der Feldblende - neben der Formel von Starman1 (https://www.cloudynights.com/t…eyepiece-afov-calculation/ (Beitrag Nr. 9), immer noch eine weitere allgemeinbekannte Formel benutzt oder die Angaben von Televue und anderen Herstellern herangezogen (Spalten mit grauer, schräggestellter Schrift und Zahlen in der Tabelle). .
Danach habe ich die Okularbrennweiten herausgesucht, die bei den Extremen von 800, bzw. 1500 mm Teleskopbrennweite, jeweils 1.0 Grad wahres Gesichtsfeld bringen (rosa unterlegte Felde in der Tabelle).
Bei der Okular-Brennweite, bei der das kurzbrennweitige Teleskop 1° wahres Gesichtsfeld am Himmel bringt, erreicht das langbrennweitige 0.5° (rund 1 Vollmonddurchmesser). Bei der Okular-Brennweite, bei der das langbrennweitige Teleskop 1° bringt, bringt das kurzbrennweitige knapp 2° (also rund 4 Vollmonddurchmesser).
In diesem kleinen Bereich (0.5°-2.0°) spielt sich also fast (ich weiß, es gibt widefield-Freaks, und man kann in Ausnahmefällen auch auf 3° kommen) die ganze Welt der Amateur-Astronomen und ihrer Teleskopen ab; ... ... mehr iss nich ! (... Auch nicht mit 100° Okularen, weil es die nicht in «langbrennweitig» gibt).
Dann habe ich das Okular in der Mitte der Amateurpalette genommen (also ein 18 mm Okular; siehe weiter oben) und das wahre Gesichtsfeld ermittelt, welches dieses Okular je nach Okulartyp (von ortho bis Ethos) liefert (grün unterlegte Linie in der Tabelle).
[Die 18 mm «Festlegung» hat übrigens - wie die 1° Festlegung auch - dazu geführt, daß ich bei manchen Okulartypen (um vergleichbare Ergebnisse zu erreichen) mit Okularen (18 mm) gerechnet habe, wo der Hersteller ein solches gar nicht anbietet, sondern z. B. nur ein 17 oder 19 mm Okular führt. In solchen Fällen konnte ich dann natürlich auch meine Feldblenden-Durchmesser-Berechnung nicht verfizieren].
Schließlich habe ich, um die Übersicht in der Tabelle zu bewahren, alle Okularbrennweiten entfernt, die nicht entweder:
- die längste (40 mm) oder die kürzeste (3.5 mm) Okularbrennweite einer «Standard»-Okularpalette darstellten, oder
- (bei den beiden ausgewählten Extrem-Fernrohrbrennweiten) auf 1° Gesichtsfeld fielen (rosa Felder), oder
- die Mitte (18 mm Okularbrennweite = grüne Linie) darstellten.
Damit kann man - in der Tabelle - am Okulartyp, bzw. an dessen scheinbarem (!) Gesichtsfeld, ein wahres Gesichtsfeld festmachen, welches dieser Okulartyp (mit seinem «Standard»-scheinbarem Gesichtsfeld), unabhängig von der Fernrohrbrennweite, durchschnittlich erreicht. Das sieht dann so aus daß man folgenden Okulartypen bei mittlerer Okularbrennweite (und unabhängig von der Fernrohrbrennweite) folgendes mittlere wahre Gesichtsfeld zuordnen kann:
- Ortho (44°): 0.75°
- Plössl (52°): 0.9°
- Erfle (60°): 1.0°
- Hyperion, Pentax XW (68°): 1.2°
- Nagler, Meade UWA, ES (82°): 1.4°
- Ethos, ES, XXW (100°): 1.7°
Ich habe auch das maximal mögliche wahre Gesichtsfeld angegeben (gelb unterlegt), weil das meiner Meinung nach - bei den früheren langen Brennweiten - der Ursprung der Regel war.
... und damit wäre ich dann bei den Mythen:
Wie man sieht (gelb unterlegte Felder) erreicht man mi einem 40 mm Plössl dassselbe wahre Gesichtsfeld am Himmel, wie mit einem 21 mm Ethos (weil es letztere nicht in längeren Brennweiten gibt).
Wenn man ein 55 mm (Televue) oder 56 mm (Meade) Plössl nimmt (die außerhalb der Konkurrenz laufen, weil sie in der Durchschnitts-Okularpalette eines Amateurs nicht vorhanden sind), erreicht man 1° mehr an wahrem Gesichtsfeld, als mit dem 19 mm 100° Ultra-Weitfeld Okular und immer noch 0.5° mehr als mit dem 31 mm Nagler (einfach weil längerbrennweitige Okulare mit 82° oder 100° technisch nicht machbar sind) .
So why the hype around the 100° eyepieces ?
Die größeren scheinbaren Gesichtsfelder der Okulare führen dazu, daß ein wahres Gesichtsfeld (am Himmel) von 1° früher (von den kurzbrennweitigen zu den langbrennweitigen Okularen hin betrachtet), d.h. schon bei höheren Vergrößerungen, erreicht wird, als mit kleineren scheinbaren Gesichtsfeldern.
And that’s all ! Man kann das in der Spalte «wahres Gesichtsfeld» der Excel-Tabelle sehr schön sehen. Während man 1° Grad wahres Gesichtsfeld - je nach Fernrohrbrennweite - mit dem Ortho erst mit Okularen am langen Ende der Palette erreicht (18, bzw. 34 mm; ... rosa unterlegte Felder)), liegt sie Spanne beim Plössl schon zwischen 15 und 29 mm, bei Erfle und Co. zwischen 13 und 25 mm, beim Hyperion zwischen 12 und 22 mm, bei Nagler und Co zwischen 10 und 18 mm und schließlich bei Ethos und Co zwischen 8 und 15 mm.
Der Bereich, in dem man 1° oder mehr Gesichtsfeld am Himmel sieht, wird also von den langbrennweitigen (z. B. 40 mm) Okularen («klassische Okulare») hin zu kürzerbrennwetigen Okularen («moderne Okulare») verschoben.
Damit kann man mit modenen Okularen bei gleichem Gesichtsfeld höher vergrößern, was möglicherweise einen Gewinn an Details bringt.
.... Aber dann, wenn man mal die mit dem 31 mm Nagler oder dem 19 mm Ethos (längste Brennweite) erreichbaren Vergrößerungen mit denen des 40 mm Plössls (55 und 56 mm außen vor) vergleicht (4. Spalte in der Tabelle), da stellt sich einem schon die Frage, ob diese geringe Differenz den Preisunterschied wert ist.
Es bleibt also letztendlich nur die Tatsache übrig, daß man mit einem «Super- oder Ultra-wide angle» Okular etwas mehr dunklen Rand um das betrachtete Objekt sieht und so «aus den Augenwinkeln heraus» vielleicht noch etwas wahrnehmen kann / könnte, was man sonst verpassen würde (z.B. die Galaxie NGC 6207 neben dem Kugelsternhaufen M 13). ... Aber auch die Galaxie NGC 6207 dürfte in den meisten Fällen schon mit im feld des 40 mm Plössls stehen (30› Abstand). .
Als «conclusio» zum Thema scheinbares gegen wahres Gesichtsfeld scheint sich also mal wieder ein alter Spruch zu bewahrheiten:
«Der Schein trügt» ! ... Es kommt auf das wahre Gesichtsfeld (Teleskop und Okular zusammen) an !
Vielleicht hilft's ja dem einen oder anderen bei einer Entscheidung ! (Konstruktive Kritik gerne willkommen)
Clear Skies
Noch ein Edit: Ich habe, bei der Bestimmung der Durchschitts-Fernrohrbrennweiten, die ganz kleinen Fernrohre und - vorallem - die Schmidt-Cassegrains vergessen. Desh&alb habe ich das Ganze nochmals mit Fernrohrbrennweiten zwischen 750 mm und 2000 mm durchgespielt. Ergebnis: es ändert sich fast nichts. Die Abweichungen bei den Standard-Gesichtsfeldern pro Okulartyp (letzte Spalte) liegen bei 0.03 Grad und auch die Maximalgesichtsfelder (4. letzte Spalte) ändern sich nur minimal. Siehe den 2. PDF in der Anlage.